Technik und Kampf sind Elemente der Capoeira. Doch sie gewinnen erst an Bedeutung durch Tanz und Musik. Alle vier Elemente sind eines, keines existiert ohne das andere. Capoeira ist ein Lebensgefühl, eine Lebensphilosophie. Sie basiert auf Dir selbst und auf Deinem Gegenüber, denn ohne den anderen gibt es keine Kommunikation, kein gemeinsames Spiel und somit auch keine Capoeira. Du bist ich und ich bin Du, unsere Körper verschmelzen zu einem. Die Musik ist der Schlüssel zu einem schönen Spiel, denn sie wird in der Roda durch die Capoeira-Spieler interpretiert.

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Entstehung der Capoeira

Im Jahr 1500 landete der Portugiese Pedro Álvares Cabral in Brasilien. Wie in der Geschichte der Kolonialisierung üblich, wurden die die Einheimischen, brasilianische Indianer, gefangen genommen und versklavt. Aber man machte keine guten Erfahrungen mit ihnen: Sie starben zu Hunderttausenden in der Gefangenschaft. Und die Kirche verbot zudem eine Versklavung der Ureinwohner, damit sie bei der Missionierung nicht beeinträchtigt wurde.

Also blieb den Portugiesen gar nichts anderes übrig, als ihre Arbeitssklaven aus anderen Ländern zu importieren – aus Afrika. Tausende Sklavenschiffe überquerten den Atlantik und landeten mit Ladungen voller ‚Negersklaven’ an den Ufern Brasiliens. Es gibt keine genauen Zahlen über die eingeführten Sklaven, da 1888 alle Unterlagen über die Grausamkeiten der Sklaverei verbrannt wurden. Schätzungen reichen von 3 Millionen bis 18 Millionen Menschen, die seit 1535 je als Sklaven nach Brasilien kamen. Heute ist Brasilien das Land mit dem größten Anteil afrikanisch-stämmiger Menschen außerhalb Afrikas.

Die Afrikaner kamen aus den unterschiedlichsten Ländern und Stämmen, vornehmlich Bantu- und Sudanesengruppen aus Angola, Mozambique und dem Kongo. Dabei muss man beachten, dass sich diese Gruppen und Stämme untereinander meist völlig fremd waren und erst im Laufe der Zeit eine neue Gemeinschaft entstand. Nestor Capoeira, der Verfasser eines der bekanntesten Capoeirabüchleins, in dem vor allem die Bewegungen der Capoeira durch Bilder anschaulich erklärt werden, verglich die Versklavung der Afrikaner durch die Eroberer mit einer Invasion von Außerirdischen in unserer heutigen Zeit: Urplötzlich und mit unbekannten und gefährlichen Waffen überfallen diese unseren Planeten und nehmen Menschen unterschiedlichster Völker und Kulturen gefangen.

Stellen wir uns vor, darunter ist eine russische Balletttänzerin, ein chinesischer Mönch, ein amerikanischer Boxer, ein spanischer Gelehrter, ein deutscher Musiker und ein französischer Kabarettist. Nach einer langen Reise in dreckigen Laderäumen und unvorstellbaren Grausamkeiten seitens der Entführer landet das Raumschiff auf einem fremdartigen Planeten. Nach Jahren wird aus den unterschiedlichen Gefangenen eine kleine Gemeinschaft entstanden sein, in der jeder die Eigenarten und des anderen ein wenig angenommen hat. Und nach mehreren Generationen, in denen Kinder in diese Gemeinschaft hineingeboren wurden und die unterschiedlichsten Rituale und Sprachen kennen, entwickelt sich daraus etwas völlig Neues!

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So kann man sich auch die Entstehung der Capoeira vorstellen.

Zuerst sieht man nur einen Kreis von weißgekleideten Menschen, die rhythmisch in die Hände klatschen und gespannt in die Mitte des Kreises sehen, wo zwei weitere in Weiß gekleidete Personen miteinander kämpfen. Miteinander ‚spielen’ sagen die Kämpfenden, die Capoeirista, jedoch dazu. Es ist ein Kampftanz, der berührungslos ausgetragen wird – einer tritt zu und das Gegenüber weicht mit einer geschmeidigen Bewegung aus, bevor aus der Ausweichbewegung fließend ein Angriff wird, unter dem der Erste mühelos hinwegtaucht. Akrobatisch wird dieser Sport ausgetragen, mit hohen Sprüngen und vielen Rädern; schnelle Kreisbewegungen und nicht zuletzt der wiegende Grundschritt, die Ginga, die die Grundlage aller Bewegungen ist, runden das Bild der zwei Capoeiristas ab.

Der Kreis, den die übrigen Spieler bilden, heißt „roda“ und ist das portugiesische Wort für Kreis. Die zwei Kämpfenden werden auch „jogadores“ genannt, wobei das Wort von dem portugiesischen Wort für Spiel – „jogo“ – stammt. Wenn zwei der umstehenden Capoeiristas sich entschließen, miteinander zu spielen, hocken sie sich innerhalb des Kreises an eine bestimmte Stelle, an der die Musiker spielen. Zentral sind dabei die Spieler des Berimbaus (siehe Musik), da dieses Instrument den Rhythmus der Musik bestimmt. Die vor den Berimbaus hockenden Capoeiristas schauen sich kurz an, geben sich die Hand (manche berühren an dieser Stelle noch das Berimbau als Zeichen der Verehrung) und gehen in die Mitte der Roda, in der Regel mit einem Rad. Die Umstehenden klatschen den Rhythmus und singen den Refrain. Innerhalb des Kreises spielen die zwei Capoeiristas dann miteinander. Das Spiel kann je nach Können und Stimmung eher friedlicheren Charakter haben oder auch in einen Kampf münden. Am Ende steht kein Gewinner oder Verlierer fest, sondern die Capoeiristas entscheiden selbst, wann sie den ‚Dialog’ beenden. Jeder der Umstehenden kann sich auch vorher in das Spiel einkaufen (aus dem portugiesischen: comprar = kaufen). Dabei markiert man zuerst wachsam (die vorherigen Spieler tauschen immer noch Schläge aus) und doch bestimmt seine Absicht, das Spiel zu übernehmen, indem er einen ausgestreckten Arm zwischen die Spielenden hält. Die Handfläche ist demjenigen zugewandt, mit dem er von nun an ‚reden” möchte und setzt dann mit diesem Spieler den Dialog fort.

Die Capoeira ist äußerst vielseitig, da sie Akrobatik, Kampfsport, Rhythmik, Reaktionsfähigkeit, Improvisation und Kreativität vereinigt. Der Spieler befindet sich in ständiger Bewegung: Zum einen, da der Grundschritt (Ginga) bereits ein Wiegeschritt ist, zum anderen, weil es sehr viele tiefe Bewegungen in der Hocke, bzw. Akrobatik kopfüber (Rad, Kopfstand etc.) gibt. Dadurch und durch die Philosophie, allen Schlägen auszuweichen und nur im Notfall zu blocken, stellen sie dem anderen kein leicht zu treffendes Ziel dar.